Social Media gewinnt immer mehr Einfluss auf den politischen Diskurs. Eine neue Studie zeigt, wie die Parteien Tiktok und Co. im Wahlkampf eingesetzt haben. Dabei sehen die Autoren einen "tiefgreifenden Wandel", der auch mit Problemen verbunden ist.

Mehr Politik-News

In der sich wandelnden Medienwelt haben sich die Spielregeln für den Wahlkampf geändert. Das haben die politischen Parteien auch begriffen und im vergangenen Wahlkampf so viel in ihre Präsenz auf Social Media investiert wie noch nie.

Die Studie "Der digitale Bundestagswahlkampf" der Konrad-Adenauer-Stiftung liegt unserer Redaktion vorab vor. Darin wurde untersucht, wie die Parteien die einzelnen Plattformen wie Tiktok, Instagram oder Facebook nutzen. Dabei wird klar: Sogar im Vergleich zum vorherigen Wahlkampf 2021 hat sich vieles getan.

Da wäre zum einen der Aufstieg von Tiktok – mit Folgen über die Plattform hinaus. Denn was Tiktok so erfolgreich machte, war nicht weniger als eine Revolution von Social Media. Früher waren die Inhalte, die ein Nutzer zu sehen bekam, zum großen Teil davon abhängig, welche Personen und Seiten der Nutzer abonniert hatte. Das hat sich mit Tiktok geändert.

Tiktok-Alghorithmus: Chance für Außenseiter

Konnte man sich zuvor noch entscheiden, ob man Inhalte des Kanals von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) oder Heidi Reichinnek (Linke) sehen will, übernimmt diese Entscheidung nun der Algorithmus – je nachdem, wie gut das Video ähnlichen Nutzern bislang gefiel.

Das bietet laut den Studienautoren "Outsidern und weniger zentralen Akteuren Freiräume, um Sichtbarkeit zu erzeugen". Am stärksten ist dieser Effekt demnach auf Tiktok, aber auch Instagram und Facebook passen sich an die erfolgreiche Plattform aus China an und gewichten die Performance eines einzelnen Videos zunehmend stärker als die Bindung durch Follower.

Die Linke nutzt den Freiraum

Diesen Freiraum wusste insbesondere die Linke für sich zu nutzen, die zu Beginn des Wahlkampfes in Umfragen noch bei vier Prozent lag und ihr Ergebnis in wenigen Monaten mehr als verdoppelte. Sie war der klare Reichweitensieger auf Tiktok, obwohl die Partei dort erheblich weniger Videos postete als CDU, SPD, Grüne und AfD.

Die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung hebt den Account der diesjährigen Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek hervor und erklärt deren Erfolg auf Tiktok: "Ihre Brandmauer-Rede im Bundestag ging viral und erreichte über 6,6 Millionen Views. Auch zuvor erzielten einzelne Videos siebenstellige Abrufzahlen. Reichinnek setzte zudem verstärkt auf Community-Interaktion und beantwortete Kommentare mit politischen Erklärvideos."

Plattformen zunehmend politisch gefärbt

Auf anderen Plattformen holt die Linke zwar ebenfalls auf. Dort hat die Konkurrenz aber noch die Nase vorn. So erreichten die Grünen auf Instagram die meisten Menschen, während die AfD bei Facebook am erfolgreichsten war. SPD und CDU fallen laut der Auswertung bei allen Plattformen dadurch auf, dass sie viel posten, aber dafür relativ wenig Ertrag in Form von Reichweite bekommen.

Dass die Plattformen eine politische Färbung annehmen, deutet laut den Autoren auf "tieferliegende gesellschaftliche Polarisierungsprozesse" hin. Die "zunehmend segmentierte politische Öffentlichkeit" stellt demnach ein Problem für die Demokratie dar. Denn unterschiedliche Zielgruppen verbringen ihre Zeit in voneinander "abgeschotteten digitalen Räumen".

Die Herausforderung für eine funktionierende Demokratie sei es, neue Räume zu schaffen, "Räume, in denen politische Auseinandersetzung über Plattformgrenzen hinweg möglich bleibt und demokratischer Diskurs nicht algorithmisch fragmentiert wird".

Polarisierung nimmt durch Social Media zu

Eine weitere Besonderheit verstärkt die Polarisierung durch Social Media. Laut den Autoren tendieren die Empfehlungssysteme der Plattformen dazu, "polarisierende und emotional aufgeladene Inhalte zu bevorzugen". Das kann den Hass zwischen Gruppen schüren und Gräben vertiefen.

Eine weitere Herausforderung besteht in der direkten Kommunikation der Akteure und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust von Journalisten. Einerseits demokratisiert das den Diskurs in der Hinsicht, dass theoretisch jeder durch ein gutes Kurzvideo eine hohe Reichweite gewinnen kann.

Andererseits müssen Politiker sich auf ihren eigenen Kanälen keinen kritischen Nachfragen, wie beispielsweise in Interviewsituationen, stellen. Auch unabhängige Faktenchecks, wie in journalistischen Artikeln oder in manchen Talkshows, bleiben hier aus. Dafür sprechen die Politiker direkt zu ihren potenziellen Wählern – ob sie sich dabei an Fakten halten oder nicht, bleibt ihnen selbst überlassen.

Social Media erreicht ältere Zielgruppen

Es ist davon auszugehen, dass der Einfluss von Social Media für zukünftige Wahlkämpfe noch weiter steigen wird. Denn auch bei Menschen mittleren Alters nimmt die Nutzung zu.

Laut dem Social-Media-Atlas, der der FAZ vorliegt, nutzte vor allem eine Gruppe im Vergleich zum Vorjahr stärker Social Media: die 40- bis 59-Jährigen. Jeder Vierte der 50- bis 59-Jährigen sei außerdem mittlerweile auf Tiktok aktiv. stimmen die Altersangaben.

Der Wandel, den Social Media für Wähler und Politiker mit sich bringen, ist also noch nicht am Ende. Für Parteien wird es in Zukunft noch wichtiger, auf Social-Media-Plattformen erfolgreich zu kommunizieren. Und für Nutzer noch wichtiger, das Gesehene einordnen zu können.

Verwendete Quellen: