Die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD haben ihren Koalitionsvertrag unterzeichnet. Mit betonter Sachlichkeit und ohne viel Pathos. Es soll gleich an die Arbeit gehen. Doch das wird nicht einfach.

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Zur Einstimmung gibt es Fotos. Nüchterne Besprechungsräume, Aktenordner, Ledertaschen und Wasserflaschen. Gestikulierende Hände, meist nachdenkliche Gesichter, aber auch das eine oder andere befreite Lachen. Das alles soll wohl vermitteln: Es wurde sachlich und hart verhandelt.

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Die Bilder sind bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD entstanden, die am Montagmittag endgültig besiegelt werden: Im Gasometer in Berlin-Schöneberg unterzeichnen die Parteivorsitzenden den Koalitionsvertrag. In Zukunft wollen sie gemeinsam die Bundesrepublik regieren.

Es wäre das fünfte schwarz-rote Bündnis auf Bundesebene. Doch der frühere Name "Große Koalition" passt kaum noch: Christ- und Sozialdemokraten bekamen bei der Bundestagswahl am 23. Februar zusammen gerade mal 44,9 Prozent der Stimmen. Eine Mehrheit im Bundestag haben sie nur, weil BSW und FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten.

Merz verspricht Reformen und Investitionen

Mehrheit ist Mehrheit – und man nehme den Auftrag an, sagt CDU-Chef Friedrich Merz zur Begrüßung. "Dieses Land sucht nach einer Regierung, die sich vom ersten Tag an planvoll und machtvoll an die Arbeit macht."

Die vorige Koalition war mit viel Symbolik und Aufbruchsversprechen gestartet und dann im Streit gescheitert. Deswegen setzen Union und SPD jetzt auf das Gegenmodell: Geschäftsmäßigkeit statt Pathos. "Verantwortung für Deutschland" heißt der Vertrag, unter den die vier Parteivorsitzenden nacheinander ihre Unterschriften setzen. Ähnlich nüchtern wie der hellgraue Bühnenhintergrund im Gasometer.

Mit Reformen und Investitionen wollen man das Land voranbringen, dabei verlässlich sein und die Sorgen der Menschen ernst nehmen, verspricht Merz. Er sieht darin sogar eine historische Verantwortung: "Wir leben in Zeiten eines tiefen Umbruchs und in Zeiten großer Verunsicherung."

Für Euphorie sieht er keinen Anlass. Er spricht lieber von einer "Arbeitskoalition". Wenn der Bundestag ihn am Dienstag zum Bundeskanzler wählt, wird die Arbeit wirklich losgehen. Unter denkbar schwierigen Bedingungen. Nicht nur weil die Weltlage mit Ukraine-Krieg und US-Handelskonflikt angespannt ist.

Hohe Erwartungen, wenig Regierungserfahrung

Die Koalition setzt sich auch selbst unter Druck. Die Union will die Sommerpause des Bundestags verkürzen, um erste wichtige Projekte in den kommenden Wochen auf den Weg zu bringen und umzusetzen. Doch die meisten Ministerinnen und Minister müssen sich zunächst in ihre Rolle einfinden.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist der Einzige aus dem nächsten Kabinett, der einfach weitermachen kann. Von den restlichen zukünftigen Regierungsmitgliedern haben mehr als die Hälfte – inklusive Kanzler und Vizekanzler – keine Erfahrung in der Bundesregierung. Der designierte Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) zum Beispiel ist zwar Wirtschaftsmanager, hat aber noch nie in einer Ministerialbürokratie gearbeitet und muss jetzt gleich ein neues Ministerium aufbauen.

Hinzu kommen viele Umschichtungen in den Häusern. Das Wirtschaftsministerium gibt den Klimaschutz an das Umweltressort und die Raumfahrt ans Forschungsministerium ab. Die Abteilung "Heimat" wechselt vom Innen- ins Landwirtschaftsministerium, die Bildung wird ans Familienressort angeschlossen, die Ostbeauftragte wandert vom Kanzleramt ins Finanzministerium – dafür wird es im Kanzleramt nun eine Staatsministerin für Sport und Ehrenamt geben.

Das mag nach kleineren Verschiebungen klingen. Doch Menschen, die sich mit der Ministerialbürokratie auskennen, warnen: Bis solche Abteilungen unter einer neuen Leitung ins Arbeiten kommen, vergehen häufig Monate. Bestenfalls. Die Gesetzgebungsmaschine wird kaum von Anfang an auf Hochtouren laufen.

Das persönliche Verhältnis scheint zu stimmen

Auch der SPD-Vorsitzende und angehende Vizekanzler formuliert im Gasometer hohe Ansprüche. Es gehe darum, eine neue Weltordnung mitzugestalten, sagt Lars Klingbeil, bevor er seine Unterschrift unter den Koalitionsvertrag setzt. Die Regierung müsse erfolgreich sein. Dafür verspricht er "Teamplay, Mut zu Entscheidungen, mehr Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger".

Klingbeil tritt selbstbewusst auf, spricht länger als der zukünftige Kanzler und wird konkreter. Merz gefällt das offenbar – er nickt zustimmend nach Klingbeils Redebeitrag. Der Erfolg der Koalition wird auch davon abhängen, ob die maßgeblichen Personen miteinander umgehen können. Immerhin: Das scheint der Fall zu sein.

Merz und Klingbeil haben offenbar einen guten Draht zueinander. Und sogar der Vorsitzende der dritten Koalitionspartei reiht sich zumindest rhetorisch ein. "Ich bin überzeugt, Friedrich Merz wird ein starker Bundeskanzler", sagt der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Auch er sieht die Koalition zum Erfolg verdammt. Es gehe jetzt darum, die "Feinde der Demokratie kleinzuregieren", sagt Söder. Damit meint er offenkundig die AfD, ohne die Partei beim Namen zu nennen. Zusammen haben man "die Power, unserer Demokratie ein neues, starkes Kapitel zu geben", meint Söder. Ab morgen wird das Versprechen in die Tat umzusetzen sein.

Verwendete Quelle

  • Unterzeichnung des Koalitionsvertrags im Gasometer Berlin
Teaserbild: © dpa / Michael Kappeler