Eine Woche ist Alexander Dobrindt (CSU) Deutschlands Innenminister – und hat schon die Geflüchtetenpolitik Merkels aufgekündigt. Kritik kommt aus dem Ausland.
Alexander Dobrindt lässt auf sich warten. Am Tag zuvor wurde der CSU-Politiker zum neuen Innenminister der Bundesrepublik Deutschland ernannt. Einen Tag später bekommt er das Amt von seiner Vorgängerin übergeben. Das Amt, in dem
Die Ankündigung, die CDU und CSU durch den Wahlkampf getragen hat. Die endgültige Abkehr von der Politik, die Angela Merkel einst prägte. Die Abkehr von "Wir schaffen das". Zu seiner ersten Pressekonferenz nach der Amtsübergabe kommt Dobrindt zu spät. Versöhnlich lächelnd betritt er gemeinsam mit Dieter Romann, dem Präsidenten der Bundespolizei, die Bühne.
Er hält sich am Rednerpult fest, verkündet mit ruhiger Stimme: Grenzschließungen soll es nicht geben. Man wolle die Nachbarn nicht überfordern, stattdessen sollen die Grenzen stärker kontrolliert werden.
Merz hatte "faktisches Einreiseverbot" angekündigt
"Wir müssen die Migration wieder vom Kopf auf die Füße stellen und das heißt, dafür zu sorgen, dass die Zahlen runtergehen", hatte Dobrindt schon im Vorfeld des Regierungswechsels bei RTL/ntv gesagt. Er wolle direkt dafür sorgen, dass die Zurückweisungen deutlich steigen. Auch Merz hatte vor der Wahl angekündigt, das Innenministerium an seinem ersten Tag als Kanzler anzuweisen, ein "faktisches Einreiseverbot" zu erlassen.
Dobrindt stellte klar: Es braucht eine Balance zwischen "Humanität und Ordnung", wobei er deutlich machte, dass der Hauptfokus auf der "Ordnung" liegen würde. Mit dem Tag seines Amtsantritts widerrief Dobrindt laut "Pioneer" schriftlich eine Anweisung, die seit 2015 für die Bundespolizei galt. Der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Beamten aufgefordert, "Drittstaatsangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens die Einreise zu gestatten". Nach Dobrindts Vorstoß können die Beamten nun auch Schutzsuchenden die Einreise verweigern.
Ausnahmen solle es für vulnerable Gruppen geben, also zum Beispiel Frauen und Kinder. Die Bundespolizisten im Einsatz an den Außengrenzen verdoppelt er. Es wirkt, als mache die Union ernst: Die "Migrationswende" kommt. Wenn auch nicht mit einer "belastbaren Rechtsgrundlage", wie Verfassungsrechtler laut "Welt" kritisieren.
Dobrindt plant noch mehr Kontrollen an den Grenzen
Schon unter der Ampelkoalition und der damaligen Innenministerin
Im Vergleich zur Ampel stockt Dobrindt also noch einmal auf: mehr Personal, engmaschigere Kontrollen. Wie die "Tagesschau" berichtet, hat Dobrindt dieses Vorgehen mit dem deutschen Asylgesetz "in Verbindung mit Art. 72 AEUV" begründet.
"Nationale Notlage" – oder nicht?
Es folgt ein vermeintlicher Zickzack-Kurs. So heißt es wenig später: Die Regierung habe zur Umsetzung dieser Pläne eine nationale Notlage "ausgerufen". Verbreitet wurde diese Information von der "Welt" und ihrem stellvertretenden Chefredakteur Robin Alexander. Ein Regierungssprecher erklärte daraufhin: "Der Bundeskanzler wird keinen nationalen Notstand ausrufen." Die Begrifflichkeit der nationalen Notlage taucht im betreffenden Abschnitt des EU-Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gar nicht auf.
Bei einem Besuch in Brüssel versuchte Merz laut "Welt" die Gemüter zu beruhigen: Es habe "einige Irritationen gegeben", aber eine Notlage sei nicht erklärt worden, zitiert die Zeitung ihn. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll außerdem ein "koordiniertes" Vorgehen mit den Nachbarstaaten angemahnt haben. Man kontrolliere, wie "während der Fußball-EM", soll der Kanzler laut "Tagesschau" versprochen haben. Und: "Wir werden auch weiter zurückweisen, aber das ist alles im Einklang mit europäischem Recht und darüber sind auch unsere europäischen Nachbarn vollumfänglich informiert." Einen deutschen Alleingang gebe es nicht.
Die Bundespolizei hat Merz widersprochen: Wie die "Welt" berichtete, sei dort die Anweisung Dobrindts sehr wohl so verstanden worden, "jeden Asyl- und Schutzersuchenden zurückweisen, außer Schwangere, Kranke, unbegleitete Minderjährige." Bei der Fußball-Weltmeisterschaft habe das nicht stattgefunden, weil diese Praxis nach Ansicht der damaligen Ampel-Regierung gegen EU-Recht verstoßen hätte.
Klagen könnten drohen – aber die dauern
Mit Blick auf das neue Vorgehen bedeutet das: Würden zurückgewiesene Schutzsuchende Klage einreichen, könnte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eingeschaltet werden. Und dort müsste Deutschland dann den Sonderweg erklären. Laut "Tagesschau" hat der EUGH bislang allen Mitgliedsstaaten, die sich auf Paragraf 72 AEUV berufen haben, eine Abfuhr erteilt. Rechtswidrige Zurückweisungen sind Migrationsexperten und Nichtregierungsorganisationen zufolge jedoch an vielen EU-Außengrenzen mittlerweile Praxis.
Es wirkt, als stünde die schnelle "Migrationswende" von Dobrindt und Merz auf wackligen Füßen. Doch bis ein mögliches Verfahren kommen würde, vergeht Zeit. Zeit, in der die Union ihren "Politikwechsel" im Umgang mit Geflüchteten erst einmal durchziehen kann.
Offen ist, wie lange die Bundespolizei das neue Arbeitspensum stemmen kann. Schnell nach der Ankündigung hatte etwa die Gewerkschaft der Polizei eine Verbesserung der technischen Ausrüstung gefordert. Gerade der künftige Personalaufwand mache der Gewerkschaft Sorgen.
Kritik aus Polen und der Schweiz
Für eine Bilanz der Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist es noch zu früh. Doch die Nachbarstaaten schlagen bereits Alarm. Dobrindts Vorpreschen sorgt für Unverständnis und Kritik. So ist etwa die Schweiz überzeugt: Die systematische Zurückweisung an den Außengrenzen verletzt geltendes Recht. Wie das Eidgenössische Justizdepartment auf X klarstellte, will es die Auswirkungen beobachten und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen prüfen.
Auch Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat Bundeskanzler Merz bei dessen Antrittsbesuch aufgefordert, keine einseitigen Schritte bei Grenzzurückweisungen zu gehen. Wie die Deutsche Welle berichtet, verwies Tusk dabei auf die Außengrenzen Polens, in deren Schutz massiv investiert worden sei. Dort müsse der Fokus der Kontrollen liegen. "Wenn jemand Kontrollen einführt, an der polnischen Grenze, wird Polen auch seinerseits Kontrollen einführen", sagte er demnach.
Um ein klares Zeichen zu setzen, dass die neue Regierung umsetzt, was sie verspricht, ist Deutschland also seinen Nachbarn auf die Füße getreten. Klar ist: Merz muss nach seiner Rückwärtsrolle in Sachen Schuldenbremse und Sondervermögen Vertrauen zurückgewinnen. Ob dieses Versprechen im Inneren eingelöst werden kann, ohne die Nachbarn nachhaltig gegen sich aufzubringen, wird sich zeigen.
Ebenso, wie nachhaltig dieser Politikwechsel wirklich ist. Die anderen Mitgliedsstaaten blicken aufmerksam auf das größte EU-Mitglied. Das Land, das unter Merz' Vor-Vorgängerin
Verwendete Quellen
- thepioneer.de: "Dobrindt will Asylsuchende an den Grenzen zurückweisen"
- welt.de: "'Merkels Kapitel der Willkommenskultur beendet' – So reagiert das Ausland auf die Migrationswende"
- tagesschau.de: "'Nationale Notlage' für Zurückweisungen?"
- X.com: Tweet von Robin Alexander
- X.com: Tweet des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement EJPD
- welt.de: "Polizeigewerkschaft widerspricht Merz – 'Werden jeden Asylsuchenden zurückweisen'"
- tagesschau.de: "'Es gibt hier keinen deutschen Alleingang'"
- Material der dpa