Die neuen Grenzkontrollen, die Innenminister Alexander Dobrindt eingeführt hat, werfen rechtliche und praktische Fragen auf. Jurist Stefan Salomon, der gegen solche Maßnahmen geklagt hat, erklärt die rechtlichen Grundlagen und die Probleme für Pendler, Polizei und Asylsuchende. Während die Bundesregierung von Erfolgen spricht, warnt er vor Folgen für den freien Reise- und Warenverkehr.

Eine Analyse
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Mit deutschen Grenzkontrollen, wie sie derzeit verstärkt stattfinden, kennt sich Stefan Salomon aus. Der Österreicher, Juniorprofessor für Europarecht, wollte 2022 zu einer Tagung in Passau, als ihn Bundespolizisten im Zug kontrollierten. Salomon klagte gegen diese Pass-Kontrolle, wie zuvor in Österreich. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gab ihm schließlich recht.

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Salomon hat also Erfahrung mit verschärften Grenzkontrollen, wie sie seit 5. Mai 2025 unter Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) in Kraft sind. Die Maßnahmen ermöglichen Deutschland, Asylsuchende an Grenzen zurückzuweisen. Während Dobrindt erste Erfolge verkündet, fragen sich viele, ob die Kontrollen rechtlich haltbar sind, praktisch durchhaltbar und im Ausland vermittelbar.

Bundesregierung betont Erfolg und Rechtmäßigkeit

"Die Zurückweisungen stehen im Einklang mit europäischem Recht", versicherte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). "Darüber sind unsere europäischen Nachbarn vollumfänglich informiert." Dobrindt betonte: "Die Kontrollen wirken." 2023 gab es fast 130.000 illegale Einreisen, 2024 waren es noch gut 80.000. Für 2025 wird ein Rückgang auf den tiefsten Stand seit 2021 prognostiziert.

Einige Experten führen dies aber auf veränderte Umstände in Herkunftsländern zurück, weniger auf die Kontrollen, die schon von September 2024 bis Ende März 2025 gut 51 Millionen Euro kosteten.

Pendler an der dänischen, polnischen, niederländischen, österreichischen und französischen Grenze beklagten Wartezeiten von bis zu einer Stunde, die örtliche Wirtschaft klagt über Umsatzrückgänge. Die EU-Kommission zeigt hingegen Verständnis für die Maßnahmen, beobachtet die Situation bisher nur.

Rechtliche Grundlagen: Was sagt das EU-Recht?

Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Europarecht, aus dem Schengener Grenzkodex. Die Europäischen Union (EU) regelt darin die Einreise von Nicht-EU-Bürgern. Laut Grenzkodex soll es keine Kontrollen an Binnengrenzen geben. Es gelten aber gewisse Ausnahmen.

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Ausnahmen gibt es "etwa bei ernsthafter Bedrohung für die innere Sicherheit oder öffentliche Ordnung", sagt Salomon. Auf diese beruft sich Deutschland seit 2015.

Wobei die Kontrollen in den vergangenen Wochen ausgeweitet wurden. Gut 3.000 zusätzliche Einsatzkräfte der Bundespolizei wurden an Außengrenzen abgestellt. In den ersten zwei Wochen seit der Aufstockung wurden 1.676 illegale Einreise-Versuche verhindert, davon 123 von Asylsuchenden.

Das Problem sind unterfinanzierte Prüfstellen

"Kontrollen müssen als letztes Mittel eingesetzt werden und verhältnismäßig sein", sagt Salomon. Das gelte auch nur temporär und zeitlich begrenzt.

Aktuelle Regelungen erlauben verschärfte Grenzkontrollen bis zu zwei Jahre lang. "Deutschland verlängert sie seit 2015 mit im Wesentlichen gleichen Begründungen, was rechtlich problematisch ist", argumentiert Salomon. Mit einer angeblichen Notlage werde auch begründet, Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen.

Das Europarecht sei hier eindeutig, sagt Salomon. "Deutschland muss jeden Asylantrag, der an der Grenze gestellt wird, prüfen. Man kann nicht einfach zurückweisen, ohne zu prüfen, ob man zuständig ist."

Da Prüfungen Monate dauern, warten die Bewerber in Erstaufnahmeeinrichtungen. "Problem sind die Behörden, die zu unterfinanziert sind, um schnell zu entscheiden", sagt Salomon.

Subjektive Bedrohung ist keine Notlage

Die sogenannte Dublin-Verordnung besagt, dass ein EU-Mitgliedsland die Zuständigkeit für den jeweiligen Asylbewerber prüfen muss. Darüber wird öffentlich oft geklagt.

"Die Mitgliedstaaten könnten die Regeln ändern, wenn sie das wollten", sagt Salomon. Das Problem: Man sei sich untereinander nicht einig. "Stattdessen gibt es Populisten in jedem Land, die am liebsten gar keine Asylanträge bearbeiten wollen."

Das verstößt allerdings gegen die Rechte Asylsuchender, etwa Menschenrechte und Schutz vor Verfolgung. Sich auf Notlagen zu berufen, um vom EU-Recht abzuweichen, sei problematisch, sagt Salomon. "Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist kein Argument, um Notlagen auszurufen."

Konstruktive Lösungen sähen anders aus

So könnte jeder Betroffene klagen, sowohl gegen die Kontrollen als auch die fehlende Asylprüfung. Genau wie Salomon, der sowohl vor dem Europäischen Gerichtshof als auch vor deutschen Gerichten klagte.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte Mitte März 2025 fest, dass die Begründungen für die Verlängerung der Kontrollen tatsächlich unzureichend waren. Das Urteil hätte Auswirkungen auf alle Grenzgänger haben können, sodass zukünftige Kontrollen anlassbezogen und stichprobenartig erfolgen müssen.

"Leider hat die Bundesregierung nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen", sagt Salomon. Eine Kopie des Urteils mitzuführen, helfe nicht immer. Grenzpolizisten seien oft nicht rechtssicher, was problematisch sei.

"Für eine konstruktive Lösung müsste man über gerechtere Verteilungsmechanismen sprechen", ist der Experte für EU-Recht überzeugt. Griechenland und Italien könnten als EU-Außengrenzländer schließlich nicht alle Asylanträge alleine schultern.

Am Ende könnte es an der Praxis scheitern

Ohnehin werde die positive Seite offener Grenzen zu wenig betont. "Begünstigte sind vor allem die Unternehmen sowie die Bürgerinnen und Bürger der EU. Dauer-Grenzkontrollen gefährden freien Reise- und Warenverkehr, sie schaden dem Ansehen des Kontinents und dem Rechtsstaat", sagt Salomon.

Gerichtsverfahren dauern lange. Realistischer scheint, dass die Kontrollen an praktischen Fragen scheitern. Sowohl Polizeigewerkschaften als auch Grenzpendler beschweren sich bereits laut über die Zusatzbelastungen.

Über den Gesprächspartner

  • Stefan Salomon, ist Assistant Professor für Europarecht an der Universität Amsterdam und hat zuvor als Lehrbeauftragter am Institut für Völkerrecht der Universität Graz gearbeitet, wo er die "Refugee Law Clinic" gründete. Er erlangte Bekanntheit, als er 2019 gegen Grenzkontrollen in Österreich klagte, was 2022 zu einem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs führte.

Verwendete Quellen